Omair Ahmad

Der Geschichtenerzähler

Roman

Übersetzt von Anne Breubeck

 

 

Die Publikation wurde von Litprom e.V. gefördert

 

Mitte des 18. Jahrhunderts wird Delhi wieder einmal zerstört. Ein heimatloser Geschichtenerzähler findet auf der Flucht Unterschlupf bei einer jungen Fürstin. Für die gewährte Unterkunft erzählt er ihr eine Geschichte. Sie antwortet mit einer Geschichte und fordert den Erzähler heraus. Als Resultat entspinnen sind Geschichten voller Poesie und versteckter Botschaften, mit vielschichtigen Bezügen zu Krieg und unlebbarer Liebe.

Omair Ahmad,

 

geb, 1974 in Aligarh, ist ein indischer Politikberater, Journalist und Schriftsteller.

Omair Ahmads erster Roman, Encounters, wurde 2007 veröffentlicht. Gegenstand des Romans ist die Radikalisierung der Mittelschichtsjugend.

Sein zweites Werk, The Storyteller’s Tale, erschien 2009 und wurde in Indien und dann auch international ein Erfolg. Es entstand in Anlehnung an die mündliche Erzähltradition Indiens. 2011 erschien die deutsche Übersetzung von Anne Breubeck unter dem Titel Der Geschichtenerzähler.

2010 erschien der Roman Jimmy the Terrorist. Dieser beschreibt rückblickend die Lebensgeschichte und Radikalisierung eines jungen Muslims in der fiktiven nordindischen Kleinstadt Moazzamabad in den 1960er Jahren. Jamaal, der sich im Laufe des Romans zu Jimmy entwickelt, erfährt Provokationen und Demütigungen durch Hindus in seiner Umgebung. Eines Tages verliert er die Beherrschung und begeht eine Gewalttat. Die Stadt wird daraufhin vom Medieninteresse überwältigt.

 

Quelle: Wikipedia

2011, 144 Seiten, 15,00 Euro, ISBN 978-3-937603-56-8


Die Kunst des Fabulierens

 

Franz Schneider

 

Einem Mann wurde sein Haus zerstört. Es stand im Delhi des 18. Jahrhunderts, eine grausame und kriegerische Zeit der Verwüstung, der Zerstörung, der Vertreibung, der Willkür der Mächtigen. Der Mann zieht seitdem umher, durch das was er selbst erlebt hat, kennt er die Menschen. Selbstbewusst beugt er sein Haupt nur wenn es die Höflichkeit verlangt. Als Geschichtenerzähler bezaubert und bestürzt er. Eines Abends gelangt er vor das Schloss einer mächtigen Fürstin. Eine spannungsvolle Begegnung zweier sozial höchst unterschiedlicher, geistig aber sehr ähnlicher Menschen.

 

Damit lässt sich das Ausgangsszenario des „Geschichtenerzählers“ beschreiben, einer Novelle von Omair Ahmad. Aber wer nun ist Omair Ahmad? Ein Mann aus Nordindien, Jahrgang 1974, der einige Zeit in Saudi Arabien lebte und in New York Politik studierte, ein engagierter Journalist, heute Leiter des Tibet- und Kaschmir- Programms der Friedrich-Naumann-Stiftung, vor allem aber ein Schriftsteller, von dem man in Asien spricht und bald nicht mehr nur dort.

 

So nährt sich sein „Geschichtenerzähler“ aus der magischen Kraft alter mündlicher Überlieferungen und Märchen, die Omair Ahmad mit Motiven aus der Bibel oder dem Koran durchsetzt hat. Das Erzählen selbst wird bei ihm zu einem Gespräch, Rede und Gegenrede zwischen Gast und Gastgeber, dem Geschichtenerzähler und der Fürstin, bei der er verweilt, nur um wieder aufzubrechen. Die Geschichten selbst handeln von der Freundschaft zwischen Ungleichen, dem Kind im Wald und dem jungen Wolf, den Knaben, die gemeinsam aufwachsen, obwohl sie verschiedener Herkunft sind und der eine als Königssohn ins Gefängnis gesteckt wird, der andere zum großen, aber innerlichen leeren Krieger sich wandelt. Freundschaft, die immer tragisch endet, sich in ihrer Sehnsucht für einander als letztlich unmöglich erweist. Wie auch der Geschichtenerzähler zum Umherziehen verurteilt sich gezwungen fühlt, fern von aller Gemeinschaft.

 

Anne Breubeck hat mit ihrer ersten größeren Übersetzungsarbeit im Deutschen eine Erzählung erstehen lassen, die sich orientalisch-blumigem Kitsch enthält und stattdessen klare Bilder findet, die sich geschmeidig aneinander reihen. Dadurch zeigt sich Omair Ahmads unauffällige Raffinesse im Umgang mit literarischer Tradition und Formen modernen Erzählens. Ein schöner Beweis seines Könnens, dem bald sein schon jetzt in Indien gefeierter Kult-Roman „Jimmy the Terrorist“ in deutscher Übersetzung folgen wird.

 

Rhein-Neckar-Zeitung, 6.8.2011


Rezension // Skript vom Programm „Schwarz auf weiß“

 

 

Text / Moderation: Thomas Völkner

 

Als ich jung war und meine ersten Leseerfahrungen sammelte, stieß ich auf ein vermeintliches Problem: Ich war auf der Suche nach einer gültigen Version der Märchen aus Tausendundeiner Nacht. Aber ich konnte kein solches Buch finden. Immer stand so etwas auf dem Titelblatt wie „nacherzählt von“ oder „kindgerecht dargebracht von“ oder „in der Fassung von“, und dann kam irgendein bekannter oder unbekannter Name. Wo waren die richtigen, die ursprünglichen Märchen? Gab es kein Buch, das die Originale enthielt? Erst später lernte ich, dass die bekannte orientalische Märchensammlung keinen singulären Autor besitzt. Sie ist aus ganz unterschiedlichen Quellen entstanden, aus indischen, persischen, arabischen und so weiter, wurde zunächst mündlich überliefert und erst später aufgeschrieben, abgewandelt und übersetzt. Ganz unterschiedliche Erzähler waren über die Jahrhunderte hinweg daran beteiligt, Tausendundeine Nacht – in sicher ebenso vielen Variationen – bis in unsere Gegenwart zu tragen.

 

Der aus Nordindien stammende Autor Omair Ahmad spielt in seiner kleinen, sehr poetischen Geschichte „Der Geschichtenerzähler“ mit der Tradition des Erzählens von Geschichten. Eine Geschichte wird, so Ahmad, immer aufs Neue erzählt, dabei vielleicht variiert, vielleicht mit einigen neuen Elementen versehen, wodurch es zu einer Konversion kommen kann, zu einer Umwandlung oder Umdeutung. Die verschiedenen Geschichten, die sich aufeinander beziehen, sind Teile eines großen, seit ewigen Zeiten stattfindenden Austauschs zwischen Menschen verschiedener Kulturen und über die Grenzen von Ländern und Regionen hinweg

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In der Novelle wird ein Geschichtenerzähler heimatlos. Eine Armee von Paschtunen greift die Stadt Delhi an. Viele Häuser werden zerstört, darunter das des Geschichtenerzählers, der plötzlich zurückgeworfen wird auf seine Existenz und auf das Talent des Dichtens und Erzählens. Und so erzählt er von seinem Zorn auf die fremden Soldaten, auf deren Herrscher sowie von seiner Flucht aus der Stadt. Nach ein paar Tagen kommt er zum Schloss dieses paschtunischen Herrschers. Aber nur dessen Frau ist anwesend, die Fürstin. Sie lädt ihn ein zu bleiben, sich auszuruhen und vielleicht eine Geschichte zu erzählen.

 

Und so können die Leserinnen und Leser von Omair Ahmads Novelle eine mehrtägige Begegnung von Erzählern verfolgen. Dabei wird deutlich, wie Geschichten miteinander in Beziehung stehen und wie ein Dialog mittels Literatur stattfindet. Der Geschichtenerzähler beginnt. Er trägt die Story vom Königssohn vom Sohn des Holzfällers vor, die behandelt werden, als seien sie Brüder. Während der Königssohn in einem fremden Reich Opfer einer Intrige wird, steigt der Sohn des Holzfällers zum Heerführer auf, der für das Kriegshandwerk jedoch nichts als Verachtung empfindet. Die Fürstin antwortet dann mit der Geschichte einer Frau, die aus ihrem Dorf vertrieben wird und ihren Sohn gemeinsam mit einem Wolfswelpen aufzieht. Als das Tier jedoch größer wird, steigt ihre Angst, dass es dem Kind etwas antun könnte. Zwei ganz unterschiedliche Geschichten über ungleiche Brüder, über Loyalität und die Reaktionen Dritter.

 

Wie soll der Geschichtenerzähler darauf antworten? Wie soll er den erzählerischen Dialog mit der Fürstin, die ihn offensichtlich nach seiner Loyalität zum Herrscher des Reiches fragt, fortsetzen? Die Antwort, die Omair Ahmad in seinem feinen, lesenswerten Text gibt, liefert im Grunde einen Schlüssel für die gesamte literarisch-erzählerische Tradition. Der Autor schreibt: „Der einzige Weg, der Fürstin angemessen zu antworten, bestand darin, sowohl ihre Geschichte als auch die seine neu zu erzählen. Es wäre ein Zeichen dafür, dass er zugehört und sich verändert hatte. Und es würde eine Prüfung sein – er könnte sehen, ob sie die Veränderungen akzeptierte, die er in ihrer Geschichte vornehmen würde. Und gleichsam in ihrer Welt.“ 

 

Hamburger Lokalradio, 6. November 2011, 17:05 – 18:00 MEZ


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