Krishna Baldev Vaid

Tagebuch eines Dienstmädchens

Roman

Aus dem Hindi übersetzt von Anna Petersdorf

 

 

Die Publikation wurde von Litprom e.V. gefördert

 

Dieser Roman erschien im Jahre 2000 auf Hindi. 2007 wurde eine englische Übersetzung veröffentlicht, rezensiert in der Neuen Zürcher Zeitung. Unsere deutsche Übersetzung wurde im September 2012 in die Bestenliste "Weltempfänger" aufgenommen. Besprechungen dieses Buches wurden u.a. von Deutschlandradio Kultur und vom Südwestrundfunk gesendet. 

«Mama sagt, die Herrschaften, für die wir arbeiten, sind von Natur aus gemein, man kann ihnen nicht trauen, weil sie keinerlei Mitgefühl mit Leuten wie uns haben.»

 

Claudia Wenner

 

Vaid, der Grenzüberschreiter und grosse Altmeister des modernen Hindiromans, erzählt überzeugend aus der Perspektive der jungen Shano, die intelligent, aber ungebildet ist, in verschiedenen Häusern die Hausarbeit macht und von zwei ihrer Dienstherren zum Lesen und Schreiben angehalten wird. Das so entstehende Tagebuch ist ein faszinierender innerer Monolog, der ihren Alltag beleuchtet und gleichzeitig Spiegel ihrer wachsenden Reflektiertheit ist, die sich dem Schreiben verdankt und ihr Leben verändert. Statt mit den anderen Dienstmädchen unter dem Neem-Baum zu tratschen, schreibt sie über sie und ihr Verhältnis zu ihnen. Ebenso kritisch, gewitzt, konkret und lebendig evoziert sie ihre Familie, durchleuchtet Machtverhältnisse und macht sich laufend Gedanken über das Schreiben, über ihre Träume und Ängste: Da ist die Angst, jemand könne ihr Tagebuch lesen, und die Angst, dass es keiner je liest. Wozu schreiben, fragt sie immer wieder und wiederholt gebetsmühlenartig ihren Entschluss, nie zu heiraten und nie Kinder zu bekommen, weil sie nicht enden will wie ihre Mutter, die ein Leben lang die Töpfe anderer Leute schrubben musste.

 

             2012, 288 S., 19,80 Euro, ISBN 978-3-937603-65-0


Doch ihre tiefste Befürchtung, auf immer nur als Dienstmädchen gesehen zu werden, bewahrheitet sich zum Schluss. Zwar hat die freundliche alte Dame, der sie ihr Schreiben verdankt, sie zu sich ins Haus geholt und quasi adoptiert, doch als in der Nachbarschaft ein Mord geschieht und die Polizei ein Dienstmädchen verdächtigt, raubt die Urangst des Herrn vor dem Knecht der Wohltäterin das Differenzierungsvermögen: Sie kann nicht länger verhehlen, dass ihr die Armen und Unterprivilegierten letztlich suspekt sind. Shano fühlt sich so verletzt, dass sie auszieht; doch sie beschliesst, der alten Dame ihr Tagebuch zum Lesen zu geben und kompromisslos weiter zu schreiben: Die Definitionsmacht der anderen soll nicht das letzte Wort haben.

 

Dank ihrer Intelligenz und ihrem Wahrnehmungsvermögen vermag Shano Einsichten zu formulieren, die die Dinge in neuem Licht zeigen. Nicht was sie beschreibt, sondern wie sie es tut, gibt den Ausschlag: Ihr Blick auf die Welt ist unsentimental, arglos, trotzig und von entwaffnender Offenheit. Was Vaid sie notieren lässt, überzeugt literarisch, weil es frei von Klischees und Konventionen und dabei glaubwürdig und wirklichkeitsnah ist. Statt nur Einblick in ein Dienstmädchenschicksal zu geben, führt Vaid vor, wie Shano durch die Wörter zur Welt kommt, und gibt ihr damit einen Ort, der alle Klassenschranken transzendiert. 

 

Claudia Wenner, Neue Zürcher Zeitung, 4.7.2009


Einblick in indische Verhältnisse

 

Claudia Kramatschek

 

Der Fall der vergewaltigen und ermordeten indischen Studentin wirft ein bezeichnendes Licht auf das Verhältnis von Männern und Frauen auf dem Subkontinent. Auch Vaids Roman thematisiert Gewalt gegen Frauen und ihre Ausbeutung – und gewinnt dadurch eine nicht beabsichtigte Aktualität.

„Ma sagt, Sahibs und Memsahibs sind von Natur aus bösartig. Trau keinem von ihnen, sie kennen kein Mitleid mit uns.“ Schon der erste Satz, mit dem der Roman „Tagebuch eines Dienstmädchens“ eröffnet, macht dem Leser klar: Es herrscht tiefes Misstrauen zwischen arm und reich.

 

Die einen – die ‚Sahibs’ und ‚Memsahibs’, sprich: die ‚Herren’ und ‚Herrinnen’ – leben in sorgenlosem Luxus in Delhis feineren Wohngegenden. Die anderen – ihre Heerscharen an Dienern und Dienerinnen – leben nachts in Slums und trostlosen Hütten, während sie tagsüber die Häuser der Reichen sauber halten, für sie kochen und putzen, einkaufen und Wäsche waschen. Auch die 19jährige Shano, Ich-Erzählerin und Verfasserin des fiktiven Tagebuchs , arbeitet, wie ihre Mutter, als Dienstmädchen. Aber Shano ist eine stille Rebellin. Sie tritt uns als selbstbewusste junge Frau entgegen, die mit unsentimentalem Blick aus ihrem Leben erzählt. 

Als Leser erhält man auf diese Weise einen ungeschminkten Einblick in den Alltag sowohl der Armen wie der Reichen und zugleich in die Machtverhältnisse der indischen Gesellschaft: Die ‚Sahibs’ werden als Lustmolche bezeichnet, die ‚Memsahibs’ als meckernde Matronen. Schwiegertöchter kommen neuerdings aus Dubai; die Tochter von Shanos bengalischer Dienstherrin verliebt sich verbotenerweise in einen Muslim, muss abtreiben und nimmt sich das Leben. Shanos eigene Schwester wiederum wird von ihrem Mann geschlagen, wagt aber lange nicht, ihn zu verlassen; Shanos Bruder ist ein Kleinkrimineller – und wird dennoch von der Mutter vergöttert, wie alle Söhne in Indien.

 

Vaid – 1927 im heutigen Pakistan geboren und einer der profiliertesten Erneuerer der Hindi-Kurzgeschichte in Indien, der sozialkritisches Engagement stets mit explizitem Formbewusstsein verbunden hat – verleiht Shanos Notizen dabei bewusst den Tonfall anekdotischer Momentaufnahmen. Doch daraus fügt er ein mosaikartiges Gesamtbild, das die entlarvende Rechtlosigkeit derer geißelt, die keine Macht haben, dafür aber vermeintlich schlechtes ‚Karma‘.

 

Eines Tages empört sich Shanos Freundin Lalita, auch sie ein Dienstmädchen: „Diesen Schwachsinn mit dem Karma denken sich die Reichen doch nur aus, um uns klein zu halten und auszunutzen!“ Tatsächlich weitet sich Shanos Blick, je öfter sie schreibt. Zugleich weichen die Beschreibungen der äußeren Realität mehr und mehr einem inneren Monolog, anhand dessen wir Shanos eigenen Bewusstwerdungsprozess ablesen können und das bis in die Sprache hinein. 

 

Verleiht Vaid ihren Aufzeichnungen zu Beginn einen eher mündlichen Tonfall, so gewinnen ihre Formulierungen immer stärker an subtiler Poesie, ohne dass dies den authentischen Gehalt ihrer Stimme mindert. Auch Shanos gesellschaftliche Stellung verbessert sich im Laufe ihrer Aufzeichnungen: Sie erhält eine Vollzeitstelle. Doch am Ende erweisen sich die eingefleischten Vorurteile der Reichen gegenüber ihren Angestellten als unüberwindbar. Shano wird kündigen – und die Klassengrenzen, die ihr gesetzt sind, auf genau diesem Wege überschreiten.

 

Deutschlandfunkkultur, 2.1.2013 


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