Übersetzung und Einführung von Reinhold Schein
Namita Gokhale
Sita: ein persönliches Anliegen
Die Suche nach Sita begann in der Nähe des botanischen Gartens von Peradiniya auf Sri Lanka, an einem Tag, der vom duftenden Hauch des Frühlings erfüllt war. Als ich das Bild der üppigen Landschaft mit den im Wind schwingenden Palmen, den zartblättrigen Bambuspflanzen und den javanischen Feigenbäume in mich aufnahm, da sah ich sie, auf einem Felsen sitzend, als wäre sie aus einem Bild von Ravi Varma herausgetreten.
Sita, Janaki, Bhaumi, Bhumija, Bhukanya – die Tochter der Erde. Eine Erscheinung aus Fleisch und Blut, eine junge Frau in Bedrängnis. Sah ich mich selbst dort auf dem Felsen sitzen? Denn wir indischen Frauen tragen alle etwas von Sita in uns: ihre Kraft und ihre Verletzlichkeit.
Der Name Sita leitet sich vom Sanskritwort für ‚Furche‘ oder ‚Pflugspuren‘ ab, und Sitas Geburt wird mit Metaphern der Erde umschrieben. Janaki, die Tochter des Königs Janaka, war eine starke junge Frau, die den Hara, Shivas Bogen, mühelos mit einer Hand hochheben konnte, während sie mit der anderen den Boden im Haus ihres Vaters fegte.
2013, 214 Seiten, 19,80 Euro, ISBN 978-3-937603-78-0
Doch warum sehe ich sie weinen? Wann und warum wurde sie zu einem Bild der Schwäche, statt der Stärke? In der bei uns vorherrschenden Sichtweise ist Sita schwach, niedergedrückt, von Natur aus in der Opferrolle. Wenn man sich vergegenwärtigt, dass Sri Ramas Gemahlin, Sita, Vaidehi, Ramaa – bei welchem Namen man sie auch nennen will – der wichtigste Archetyp für alle indischen Frauen ist, ein Rollenmodell, das von einer vorwiegend patriarchalischen Gesellschaft durchgesetzt und am Leben erhalten wurde, dann ist es kein Wunder, dass ein modernes emanzipiertes Lebensgefühl sie am liebsten aufs Neue ins Exil verbannen würde.
Aber so leicht tritt Sita nicht ab. Sie nimmt schon sehr lange im kollektiven Unterbewusstsein unseres Subkontinents einen wichtigen Platz ein. In den verschiedenen schriftlich fixierten und mündlich tradierten Versionen und Rezensionen des Ramayana ist Sita seit den Anfängen unserer Geschichte präsent, und sie geriet nie in Vergessenheit. Sie lebt fort in zahllosen Ortsnamen des Landes wie Sitapur und Sitamarhi, Janakpur und Ramgarh und Rampur. Man hat sie auf Zelluloid und auf dem TV-Bildschirm gesehen; sie wurde in Gestalt von Deepika Chikhalia, der Sita-Darstellerin in der Ramayana-Fernsehserie von Ramanand Sagar, für den Wahlkreis Vadodara ins Parlament gewählt. Sie ist präsent in Liedern, in Gedichten, in den Tränen, die indische Frauen Generationen hindurch vergossen haben, wenn sie die Lakshmana Rekhas (1) übertreten, die ihr Leben verbarrikadieren, wenn sie von den Flammen der Feuerproben verzehrt werden, denen ihre Familien sie immer wieder aussetzen.
Ist das der Grund dafür, dass sich die heißen, ohnmächtigen Tränen nicht aus meinem inneren Bild und meiner Erinnerung vertreiben lassen?
Mythologie ist in Indien keine rein akademische oder historische Disziplin, sie ist ein höchst lebendiges, auch heute aktuelles Thema. Die komplexen sozialen, politischen und religiösen Haltungen des ‚modernen‘ Indien sind ohne ein Verständnis unserer Mythen und deren Einfluss auf den kollektiven Glauben der Menschen gar nicht zu erfassen. Die Empfindungen, die mich antrieben, die reale Person hinter dem leidenden offiziellen Bild von Mrs. Ramachandra Raghuvanshi (2) zu suchen und ihre wesentlichen Merkmale herauszuarbeiten, sind Neugier, Mitgefühl und Sympathie mit den zerbrochenen Identitäten und Hoffnungen der meisten Frauen im heutigen Indien. Als Malashri Lal und ich begannen, diese Anthologie zusammenzustellen, wollten wir ein umfassendes Bild von Sita als einer Frau präsentieren, die zwischen Königtum und Exil, Pflicht und Selbstbehauptung, Loyalität und Ablehnung auf die öffentlichen und privaten Sphären in der Gesellschaft einwirkt.
Das Ramayana gilt als Adikavya, als ältestes dichterisches Werk, im Gegensatz zum Mahabharata, das als Itihas (Chronik) bezeichnet wird. Der Weise Valmiki, dem die maßgebliche klassische Version des Ramayana zugeschrieben wird, wurde durch den Anblick eines Reihers, der vor den Augen seines Weibchens von einem grausamen Jäger getötet wurde, dazu inspiriert, das Epos zu verfassen. Die dominierende Empfindung, die in den einleitenden Passagen hervorgerufen wird, ist Mitgefühl, und Mitgefühl wird auch im abschließenden siebten Teil, dem Uttara Kanda, wieder erweckt, in dem Sita als tapfere alleinstehende Mutter ihre Zwillingssöhne zur Welt bringt und aufzieht. Valmiki bezeichnet ihre Kinder, Lava und Kusha, mit den matrilinearen Begriffen als Sitas Söhne. Sita als Suvrata Dharmacharini, die Enthaltsame und Rechtschaffene, ist in keiner einzigen Version des Textes jemals von ihrer Redlichkeit und Loyalität gegenöber ihrem königlichen Gatten abgewichen.
Im Gegensatz zu den komplexen, von Leidenschaft geprägten Verhaltensweisen und polygamen Bräuchen des Mahabharata handelt das Ramayana von monogamer Liebe. Ramas Vater Dasharatha hatte unter den Konsequenzen der Polygamie und dem damit verbundenen Erbfolgestreit zu leiden. Sri Rama stand jedoch fest zu seinem verbindlichen Entschluss, einer einzigen Frau treu zu bleiben.
Kalidasas Raghuvamsa, Bhavabhutis Uttara Ramacharita und alle Varianten und regionalen Interpretationen dieser Heldendichtung preisen die Verwandtschaftsbande, die Liebe und Treue unter Brüdern und andere in einer Feudalgesellschaft maßgebliche Werte. Sita wird porträtiert als eine ihren Mann tief und bedingungslos liebende Frau. Sie stellt ihm keine Fragen, ist immer tapfer, immer pflichtbewusst und tut alles in ihrer Macht Stehende, um das Gefüge dieses patriarchalen Universums aufrechtzuerhalten. Als sie aber zu einer zweiten Feuerprobe aufgefordert wird, verheimlicht sie ihre Kränkung nicht und macht Gebrauch von ihrer Autonomie, indem sie aus der Welt scheidet. Dies aber erst, nachdem sie den ganzen Kreis dessen, was sie als ihre Pflichten ansieht, durchschritten hat. In vielen über Süd- und Südostasien verbreiteten Versionen des Epos bleiben die Konturen der Handlung jedoch menschlicher und nachvollziehbarer. Ein attraktives Paar, vom Schicksal, den Göttern und ihrer Liebe zusammengefügt, wird aufgrund weiblicher Intrigen und innerfamiliärer Zwistigkeiten in die Verbannung geschickt. Das Drehbuch hat alle Elemente von Dramatik und Spannung für einen Kassenschlager, und die erhabenen Emotionen von Ehre, Pflicht und Rache werden bis zur erfolgreichen Auflösung ausgespielt.
Auf dem Höhepunkt der idealen Friedensherrschaft Ramas setzt das Gegenthema ein: Als ein über seine Frau verärgerter Wäscher Sita, die gekrönte Königin von Ayodhya, zu verleumden beginnt, verlangen es die Bräuche des Königtums, dass der Gegenstand der üblen Nachrede zu einem einsamen Leben in den Wald verbannt wird. Die Ungerechtigkeit der Situation und die Härte des Urteils werden in den Volkstraditionen und in den klassischen Kunstformen sehr unterschiedlich behandelt. Während feinsinnige Moralisten und Klassiker für Ramas Versagen viele Erklärungen und Entschuldigungen finden, einschließlich einiger an den Haaren herbeigezogener metaphysischer Rechtfertigungen, ist in den Volksliedern und alternativen Überlieferungen Entrüstung und Parteinahme für das Opfer zu spüren.
In dieser Sammlung von Essays sollen verschieden Standpunkte zu Wort kommen. Sie teilt sich auf in die Abteilungen ‚Kommentare‘, ‚Im Dialog‘, ‚Versionen‘ und ‚Neue Interpretationen‘. In Sita und einige andere Frauen aus den Epen vergleicht Meghnad Desai die Frauengestalten des Mahabharata mit denen aus dem Ramayana. Arshia Sattar unterzieht in ihrem nachdenklichen Rückblick ihre eigene vor mehr als zehn Jahren vollendete Übersetzung des Ramayana einer neuen Prüfung. „Es schockiert mich, dass ausgerechnet er mich anzieht, mich zu dem Versuch zwingt zu verstehen, warum er – vielleicht gegen seine innersten Wünsche – so grausam mit Sita umgeht. Ich stelle fest, dass Rama mich immer stärker interessiert, und bin überzeugt, dass sich der Weg zu einem umfassenderen Verständnis des Ramayana, gerade für Frauen von heute, eher durch den Einbezug als durch eine Ablehnung Ramas und seines fragwürdigen Verhaltens öffnet.“
Künstlerisch wird Sita auf vielfältige Weise interpretiert. Shashi Deshpande artikuliert Sitas Emotionen, als sie im Wald ausgesetzt wird. Vijay Lakshmi erfindet eine moderne Geschichte zum Thema Eifersucht. Mallika Sengupta erzählt von neuem das spannende Drama der Feuerprobe. In ihrem Beitrag über die Bhojpuri-Volkslieder präsentiert Smita Tewari Jassal die höchst lebendige Volksüberlieferung zum Thema. Madhurita Anand erörtert ihre Erfahrungen bei der Produktion des Films Laying Janaki to Rest. Sonal Mansingh, Indira Goswami und Madhu Kishwar teilen ihre Ansichten und Einsichten zum Sita-Archetypus mit. Auch einige der vielen traditionellen Interpretationen der Erzählung von Sita sowie kreative persönliche Interpretationen des Sita-Mythos wurden einbezogen.
Den Berg von Material, der zu diesem Thema eintraf, zu sichten und darauf zu reagieren, war eine anstrengende, aber bewusstseinserweiternde Aufgabe. In einer Zeit des Wandels, in der manche an unserer Vergangenheit festhalten, während andere sich davon lösen, möchte ich auf die Flexibilität und Kontinuität der indischen Kultur und ihrer Traditionen verweisen. Ich habe das Buch als Hindu mit Liebe und Respekt vor der wirkenden Kraft von Diskussion, Auseinandersetzung und Hinterfragung entworfen.
Sita war nicht nur die unsterbliche Tochter der Erde, nicht nur eine Inkarnation von Lakshmi. Sie war auch zutiefst menschlich, wenngleich ihre Verletzlichkeit im Bodensatz von Mythos und Ehrfurcht verloren geht. Doch Mythen sind in Indien niemals statisch, sie befinden sich in einem Prozess fortlaufender Neuinterpretation und Neubewertung ihrer selbst und der durch sie definierten Gesellschaft. Es ist vielleicht an der Zeit, ein neues Bild von Sita zu suchen, einer Sita, die nicht in die Erde zurückkehrt, sondern die Erde entschlossen für sich einfordern kann.
1) Lakshmana Rekha: ‚Die Linie Lakshmanas‘. Diese Linie bezeichnet einen von Ramas Bruder Lakshmana gezogenen magischen Zirkel, innerhalb dessen Sita vor Übergriffen aller Art geschützt war. Indem sie diesen geschützten Bezirk verließ, konnte Sita von dem Dämonenkönig Ravana entführt werden. Allgemein steht Lakshmana Rekha für eine Bedingung oder Einschränkung, die zu missachten schwerwiegende Folgen hat. [Die Fußnoten sind, soweit nicht anders vermerkt, Anmerkungen des Übersetzers.]
2) Mrs. Ramachandra Raghuvanshi: „Die Gattin Ramas aus der von König Raghu begründeten Dynastie“; ironische Titulierung Sitas ausschließlich mit Namen und Herkunft ihres Mannes und englischer Anrede.
Reinhold Schein
Einführung
Anders als in Europa, wo nur wenige Bildungsbürger genauere Kenntnis der epischen Dichtungen des Mittelalters und des Altertums haben, sind die beiden großen Epen Indiens, das Mahabharata und das Ramayana, in ihren Hauptzügen der großen Mehrheit der Bevölkerung sehr präsent. Man weiß, worum es im Mahabharata-Krieg ging, man kennt die Helden auf beiden Seiten, ihre Abenteuer, ihre Familien, ihre Beziehung zu den Göttern. Man leidet mit Rama und Sita, wenn sie unverschuldet ihre vierzehnjährige Verbannung antreten, wenn Sita von dem mächtigen Bösewicht Ravana verschleppt wird und Rama verzweifelt zurückbleibt. Man jubelt, wenn schließlich Ravana besiegt und Sita befreit ist, wenn das Paar im Triumph an seinen angestammten Sitz Ayodhya zurückkehrt.
Älteste Textgrundlage ist das im 5. bis 3. Jh. vor Chr. entstandene, dem vielleicht historischen Dichter Valmiki zugeschriebene Sanskrit-Ramayana in sieben Büchern und 24.000 Doppelversen. Es existieren eine Reihe weiterer Sanskrit- Ramayanas sowie ca. dreihundert freie Bearbeitungen des Stoffs in den Volkssprachen Indiens und Südostasiens. Von größter Breitenwirkung ist in Nordindien bis heute das in Avadhi, einer Variante des Hindi, verfasste Ramcharitmanas des Tulsidas (ca. 1543 – 1623).
Aber man musste nicht selbst lesen können, um mit Rama und Sita vertraut zu werden. Die große Bekanntheit und Beliebtheit des Ramayana erklärt sich aus einer jahrhundertealten ungebrochenen Tradition, in der das Epos überall in Indien von professionellen Erzählern den meist illiteraten Dorfbewohnern in der jeweiligen Sprache der Region vorgetragen wurde. Hinzu kommen in vielen Städten alljährlich im Herbst die Laienspiele der Rama-Lila, in denen die epische Handlung, auf zehn oder zwölf Nächte verteilt, im Freien auf improvisierten Bühnen aufgeführt wird.
In neuerer Zeit gab es etliche Verfilmungen, am bekanntesten eine TV-Serie in 78 Folgen, die 1987/88 jeden Sonntagmorgen ausgestrahlt wurde und die Straßen leerfegte. Der Stoff fordert auch zeitgenössische Autoren zu immer neuen Variationen und kreativen Interpretationen des Themas heraus, von denen einige in diese Anthologie aufgenommen wurden.
Die Beiträge in diesem Buch wurden in erster Linie für ein indisches Lesepublikum verfasst. Daher wird vorausgesetzt, dass die Grundzüge des Ramayana bekannt sind. Hier nun eine kurze Zusammenfassung, die der Aufteilung des Valmiki- Ramayana in sieben Bücher folgt:
1. Bala Kanda (Buch der Kindheit): Prinz Rama wächst in Ayodhya, der Hauptstadt des Reichs Kosala, als ältester Sohn von König Dasharatha auf. Als er sechzehn Jahre alt ist, ziehen Rama und sein Halbbruder Lakshmana auf Bitte des Weisen Vishvamitra erstmals in den Kampf gegen Dämonen, die die frommen Opferriten heiliger Asketen stören. Danach gelangen die Brüder an den Hof des Königs Janaka. Dieser hat Bewerber um die Hand seiner Pflegetochter Sita, die als Baby beim Pflügen in einer Ackerfurche gefunden worden war, zu einem ritterlichen Wettbewerb eingeladen. Rama geht daraus zu Sitas Freude als Sieger hervor, heiratet sie und führt sie heim nach Ayodhya.
Rama und Sita sind, auch wenn sie sich dessen erst allmählich bewusst werden, keine gewöhnlichen Menschen, sondern Inkarnationen des Götterpaars Vishnu und Lakshmi. Ihre Aufgabe ist, die Welt von dem übermächtigen Dämonen Ravana zu befreien.
2. Ayodhya Kanda (Buch von Ayodhya): Dasharatha will die Königsherrschaft an Rama übergeben und trifft alle Vorbereitungen für dessen festliche Inthronisierung. Durchkreuzt wird dies von Dasharathas zweiter Gemahlin Kaikeyi, die ihren Sohn Bharata auf dem Thron sehen will. Sie fordert nun von Dasharatha die Einlösung eines früher gegebenen Versprechens, dass sie zwei beliebige Wünsche von ihm frei habe, und verlangt, dass Bharata gekrönt und Rama für vierzehn Jahre aus Ayodhya verbannt wird. Dasharatha kann sie weder umstimmen noch sein einmal gegebenes Versprechen zurücknehmen. Rama geht ins Exil in die Wildnis, wobei ihn Lakshmana und Sita freiwillig begleiten. Dasharatha stirbt daraufhin an gebrochenem Herzen. Bharata lehnt jedoch die Krone ab und übernimmt die Regentschaft nur vertretungsweise bis zur Rückkehr Ramas.
3. Aranya Kanda (Wald-Buch): Rama, Sita und Lakshmana bauen sich im Dandaka-Wald in Zentralindien eine Hütte. Die Dämonin Surpanakha, zeitweilig verwandelt in ein schönes Mädchen, will Rama verführen. Dieser weist sie jedoch zurück und schreitet nicht dagegen ein, dass Lakshmana Surpanakha verunstaltet. Wütend fordert sie ihren Bruder Ravana, den König des Dämonenreichs Lanka, auf, diese Schmach zu rächen. Ravana plant Sitas Entführung mit Hilfe seines Onkels, der Sita in Gestalt eines goldenen Hirschs betört. Sita bittet Rama, ihr diesen Hirsch zu bringen, schickt Lakshmana hinterher, als sie glaubt, Ramas Hilferufe zu hören, und bleibt schutzlos an der Hütte zurück. Von dort verschleppt Ravana sie auf sein Inselreich Lanka.
4. Kishkindha Kanda (Buch von Kishkindha): Rama und Lakshmana ziehen auf der Suche nach Sita weiter nach Süden und kommen in das Affen-Königreich Kishkindha. Hier schließen sie Freundschaft mit Hanuman, der zum treuesten Verehrer und Diener Ramas wird, und Sugriva, dem sie gegen seinen Bruder, den Affenkönig Bali, zur Herrschaft verhelfen. Sugriva verspricht im Gegenzug, sein Affenheer zur Befreiung Sitas einzusetzen. Suchtrupps, die in alle Richtungen ausgesandt werden, kehren unverrichteter Dinge zurück. Man erfährt jedoch, dass Sita in Lanka gefangen ist.
5. Sundara Kanda (Das schöne Buch): Hanuman nutzt seine übernatürlichen Kräfte, um nach Lanka zu fliegen. Er findet Sita in einem Hain aus Ashoka-Bäumen, bewacht von Dämoninnen. Er gibt sich als Bote Ramas zu erkennen und erfährt, dass Sita von Ravana bedrängt wird, seine Frau zu werden. Hanuman versichert ihr, die
Rettung sei nahe. An Ravanas Hof verlangt er die sofortige Freilassung Sitas. Ravana verhöhnt ihn, indem er seinen Affenschwanz in Brand setzt. Mit dieser Flamme als Fackel springt Hanuman über die Dächer von Lanka und verbreitet überall das Feuer, bevor er aufs Festland zurückfliegt und Rama Bericht erstattet.
6. Yuddha Kanda (Buch des Krieges): Die Prinzen überqueren mit dem Affenheer auf einer ingeniös gebauten Brücke das Meer und vernichten in einer großen Schlacht Ravanas gesamte Streitmacht. Zuletzt tötet Rama selbst Ravana. Als Sita zu ihm gebracht wird, verhält sich Rama erstaunlich kühl. Er habe den Krieg gegen Ravana allein um der Sache der Gerechtigkeit willen geführt. Mit einer Frau, die in der Gewalt eines anderen Mannes gelebt habe, könne er die eheliche Gemeinschaft nicht fortsetzen. Sie sei frei, einen anderen zu heiraten oder zu gehen, wohin es ihr beliebe. Sita lässt daraufhin einen Scheiterhaufen errichten und schreitet in das Feuer. Es erscheint Agni, der Gott des Feuers, trägt sie unversehrt aus den Flammen und verbürgt sich öffentlich für Sitas Reinheit. Nun ist die Zeit der Verbannung vorbei, Rama, Sita und Lakshmana kehren heim nach Ayodhya, wo Rama gekrönt wird und eine lange Epoche idealer Königsherrschaft (Ram-Rajya) beginnt.
7. Uttara Kanda (Das letzte Buch): Nach vielen glücklichen Jahren kursieren im Volk neue Gerüchte über Sitas vermeintliche Untreue. Nicht weil er daran glaubt, sondern aus Staatsräson verbannt Rama Sita aus Ayodhya. Sie findet Zuflucht in der Einsiedelei des Rishis Valmiki, wo sie Ramas Zwillingssöhne Lava und Kusha zu Welt bringt und allein erzieht. Nach zwölf Jahren bringt Valmiki Sita und die Zwillingssöhne an Ramas Hof und trägt ihm seine Dichtung vor, das Ramayana. Rama will Sita wieder als seine Ehefrau zu sich nehmen, verlangt jedoch einen erneuten Beweis ihrer Unschuld. Daraufhin ruft Sita ihre Mutter, die Erde, an, die sich unter ihr auftut und sie verschlingt.
Es bestehen Zweifel, ob das Uttara Kanda zum ursprünglichen Text des Ramayana gehört oder später hinzugefügt wurde. Etliche andere Versionen enden mit der Rückkehr Sitas und der Prinzen nach Ayodhya.
Die meisten Beiträge dieses Bandes sind essayistischer Art. Außerdem enthält er Interviews, Darstellungen regionaler Ramayana-Versionen, die teils deutlich vom Sanskrit-Urtext abweichen, sowie Kurzgeschichten, in denen der Stoff neu interpretiert wird. Die Beiträge setzen sich auseinander mit Sita, deren Wirkungsmacht als traditionelles Rollenmodell für die indische Frau kaum zu überschätzen ist. Hier trifft das überkommene Bild von der Rolle der Frau in einer patriarchalisch organisierten Gesellschaft auf ein modernes, feministisch geprägtes Verständnis. Viele Beiträge gehen der Frage nach, ob Sita wirklich die unbedingt loyale, ihrem Gatten absolut ergebene, gehorsame Frau war, der nachzueifern man heranwachsende Mädchen aufforderte, oder ob nicht in den verschiedenen Ramayana- Versionen durchaus Züge einer starken und autonom handelnden, somit zum modernen Leitbild tauglichen Frau erkennbar sind. Andere Texte vergleichen Sita im
Hinblick auf ihre Leitbildfunktion mit weiteren Frauengestalten aus der indischen Mythologie.
Natürlich wird auch Rama kritisch betrachtet. Dabei rücken einige Episoden ins Zentrum der Untersuchung, in denen der als so vollkommen, so gerecht und unbestechlich gerühmte Übermensch sich in heute kaum nachvollziehbarer Weise verhält. Insbesondere die Beweise für Sitas eheliche Treue, die Rama ihr nach der Befreiung aus Ravanas Gewalt abfordert, werden als demütigend empfunden. Und dass Rama den Affenkönig Bali nicht im offenen Kampf, sondern aus einem Versteck heraus tötet, passt gar nicht zu seiner sonst so hoch entwickelten Ethik des Fair Play. Aufgeführt und bewertet werden aber auch die zum Teil abenteuerlichen Rechtfertigungen für Rama.
Auch die politisch-propagandistische Vereinnahmung Ramas durch hindu-nationalistische Kräfte, die 1992 zu den blutigen Ausschreitungen um die Babri- Moschee auf dem vermeintlichen Geburtsplatz Ramas in Ayodhya führten, wird angesprochen.
Mehrfach thematisiert wird einer der wundesten Punkte in der heutigen indischen Gesellschaft: Verachtung und Brutalität gegenüber der Frau, wie sie sich in Mitgiftmorden, selektiven Abtreibungen weiblicher Föten und ungeahndeten Vergewaltigungen ausdrücken.
Nicht zuletzt beleuchten die Texte dieser Anthologie eine tiefere Schicht der indischen Psyche, einen wichtigen Teil ihres kollektiven Unbewussten.
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