Gita Dharampal-Frick, Ali Usman Qasmi        und Katia Rostetter (Hg.)

Revisioning Iqbal                                as a Poet & Muslim Political Thinker

This collection of articles evaluates the contribution of Muhammad Iqbal (1877-1938) in the realm of politics, religion, literature, philosophy and scholasticism.

Der Philosoph und Dichter Muhammad Iqbal

 

Von Georg Lechner

 

Dies ist keine Rezension des im Heidelberger Draupadi Verlag erschienen Buches „Revisioning Iqbal As a Poet & Muslim Political Thinker“, hg. v. Gita Dharampal- Frick, Ali Usman Qasmi und Katia Rostetter. Dazu fehlen mir die notwendigen kritischen Instrumente wie Sprachkenntnisse des Urdu und des Persischen, der Einblick in die großen geisteswissenschaftlichen Zusammenhänge des Islam und die eingehende Beschäftigung mit Werk und Leben des Dichter-Philosophen Iqbal und seine besondere Stellung für Pakistan.

Wenn ich hiermit trotzdem zur Lektüre dieser Veröffentlichung mit den Beiträgen der im November 2007 am Südasien-Institut der Universität Heidelberg abgehaltenen internationalen und interdisziplinären Konferenz zu Iqbal einlade, so hat das mit meiner jahrzehntelangen Tätigkeit als kultureller Mittler auf dem indischen Subkontinent zu tun. An der Tagung nahmen deutsche und pakistanische Experten teil; Vertreter anderer Bezugsländer wie Großbritannien, Indien oder dem Iran fehlten.

 

2010, 232 Seiten, 19,80 Euro, ISBN 978-3-937603-43-8


Die Beiträge der Publikation weisen Iqbal als Mittler und Brückenbauer zwischen Ost und West aus. Bereits der einführende Text von Ali Usman Qasmi deutet mit seinem programmatischen Titel „Where the Twain did Meet“ auf diese Rolle und weist mit „Gabriels Flügel“ auf die Interpretation seiner religiösen Ideen durch eine andere große Mittlerin hin, Annemarie Schimmel. Dieser dialogische Grundcharakter durchzieht das ganze Buch und setzt Iqbal einmal mit Goethe (Christina Oesterheld), Tagore (Axel Monte), Nietzsche (Stephan Popp), der islamischen Epoche Spaniens (Qazi Jamal Husain), dem Dialog mit dem Westen allgemein (Shamim Hanfi) oder auch innerhalb der östlichen Mystik zwischen der persischen und arabischen Strömung (Hans Harder) in ein Verhältnis. Weder als Dichter noch als Philosoph ist Iqbal ohne tiefgehende westliche Einflüsse verständlich, die jedoch ihrerseits von seinem alles durchdringenden islamischen Glauben und Wertesystem geprägt sind. In seinem Standardwerk „Reconstruction of religious thought“sind Kant und Hegel gegen Erkenntnisweisen des Sufismus und intuitive Erkenntnis, Philosophie und Religion zu versöhnen und in der Dichtung die Poetik des traditionellen ghazal mit der Bilder- und Themenwelt von heute zusammen zu bringen.

 

Die in seiner Biographie begründete politische Mittlerrolle Iqbals zwischen der Kolonialmacht England und der Kolonie Indien, einschließlich der pakistanischen Staatsideologie, muss stets vor dem Hintergrund seines Ideals einer islamischen Einheit und Brüderlichkeit, der ummah und seiner moralischen Rechtsordnung, der shari’at gesehen und verstanden werden. Der Vermittelnde ist Teil des zu Vermittelnden. Auch in Iqbals Denken lassen sich Ambivalenzen und „incommensurable hermeneutical circles“ feststellen (Abdul Wahab Suri). Wie Inayatullah Baloch in seinem Beitrag „Caliphate and Iqbal“ ausführt, war Iqbal als Mitglied der ummah und nach dem Koran einerseits durch die Jihad-Erklärung vom November 1914 und die anschließend ausgesprochene fatwa gegen England und seine Verbündeten im Ersten Weltkrieg gebunden, und konnte in der indischen„Khilafat-Bewegung“ Vorbildern wie Muhammad Ali und Mahatma Gandhi folgen; dass er sich trotzdem öffentlich nie für den Jihad aussprach und nur ein „Wortkrieger“ (guftar ka ghazi) blieb, hat mit seiner ökonomischen Abhängigkeit vom britischen System und seinen persönlichen Zwängen ebenso zu tun wie seiner allgemeinen politischen Einschätzung.

 

Als westlich geprägten kulturellen Mittler berührt mich die Bedeutung von Iqbal nicht so sehr in seiner jeweiligen Kompetenz als „Dichter & moslemischer politischer Denker“ (um den Buchtitel aufzugreifen), sondern in seiner typisch östlichen Eigenschaft als Integrationsmodell für die Verbindung von Dichter, Philosophen, Mystiker und Zoon Politikon. Goethe war mir stets ein Vorbild für mindestens drei der genannten Begabungen. In meiner indischen Zeit hatte ich früh erkannt, dass in diesem Erdteil Erkennen und Handeln, etwa in dem Guru-Prinzip, eine Einheit bilden, aber auch das Erkennen ebenso rational wie auch intuitiv und als „Erleuchtung“ erfolgen kann und auch das Handeln nicht nur tätige Aktion ist, sondern als ahimsa oder als bhakti passiver Natur sein kann. Als Ergebnis solcher fruchtbarer Vermischungen kennen wir über die Jahrhunderte einmalige Individuen wie Sokrates oder Gandhi. Nur selten, bemerkte ich bald, treffen wir im Westen den religiös inspirierten Menschen an, der die Grundweisheit der Parsen manashni, gavashni, kunashni – gute Gedanken, gute Worte, gute Taten – und ihre Untrennbarkeit repräsentierten wie Kabir, Tukaram, Mirabai, Ramakrishna, Vivekananda oder Sri Aurobindo, indische Reinkarnationen unseres etwas einsamen mittelalterlichen Meister Eckhart.

 

Aus dem Buch „Revisioning Iqbal“ des Draupadi Verlags leite ich die begründete Vermutung ab, dass Sir Muhammad Iqbal zu jenen erwähnten wunderbaren Mittler-Persönlichkeiten gehört, und ich lade Sie deshalb ein, durch die Lektüre dieser verdienstvollen Publikation und darüber hinaus durch die Vertiefung des Themas als Leser (der nach Roland Barthes dadurch zum Autor wird) diese Vermutung zu bestätigen und den geschlossenen Zirkel des Expertenkreises solcher Tagungen aufzubrechen. Zumal sich eine englischsprachige Ausgabe ohnehin an einen größeren Leserkreis wendet. Als Kulturmittler muss mir am friedlichen Kulturaustausch gerade in diesen gewaltsamen Zeiten liegen.

 

Dr. Georg Lechner war langjähriger Leiter von deutschen Kulturinstituten (Goethe- Instituten) in Asien, Nordamerika und Europa und ist Buchautor, Essayist und Dokumentarfilmer zu interkulturellen Themen und Kulturaustausch. Heute ist er Vorstandsmitglied des Indien-Instituts München.


Erhältlich in jeder guten Buchhandlung oder direkt beim Verlag unter Bestellungen!