Eine Studie von Martina Claus und Sebastian Hartig
Weitere Informationen zum Projekt befinden sich auf adivasi-koordination.de
Das zweite Buch der Adivasi-Koordination in Deutschland e.V. zum Thema „Deutsch-Indisches Stahlwerk Rourkela“ lässt die zwangsenteignete Adivasi-Bevölkerung selbst zu Wort kommen:
„Die deutsche Regierung hat eine Menge Geld in die Errichtung der Werksanlage gesteckt. Als Ergebnis davon wurden die Adivasi entwurzelt und vom Land ihrer Vorfahren weggerissen. Es wäre daher angemessen und gerecht, dass die deutsche Regierung den Zwangsumgesiedelten hilft und so ihren guten Willen beweist. DAS IST UNSER WUNSCH.“
Habil Lomga aus dem Dorf Lachhada,
etwa 80 Kilometer von Rourkela entfernt
2011, 124 Seiten, 12,00 Euro, ISBN 978-3-937603-59-9
Zeitzeugenbericht von Joseph Toppo
Aus der Umsiedlungskolonie Jalda A, rund acht Kilometer von Rourkela entfernt
Ich stamme aus dem Dorf Duagaon. Bevor wir zwangsumgesiedelt wurden, bauten wir Keond, Mahua und andere Nutzpflanzen an. Wir führten ein zufriedenes, genügsames Leben. Als verkündet wurde, dass an der Stelle unseres Dorfes ein Stahlwerk gebaut werden sollte, befahl man uns, den Ort zu räumen.
Uns wurde versprochen, dass wir an einem neuen Ort angesiedelt würden, und dass man uns Land und Häuser geben werde. Man versprach uns außerdem Arbeit für unsere Familien in der neuen Fabrik. Zu der Zeit war Jawaharlal Nehru Premierminister von Indien. Er hatte ein Herz für die Adivasi. Er sagte, dass die Adivasi arm seien und dass sie im Gegenzug für ihr Land, das für die Errichtung des Stahlwerks erworben wurde, eine Anstellung und Land bekommen sollten. Wir hatten dort zehn acre (ungefähr vier Hektar) Land. Wir bekamen dafür eine Entschädigung von nur 5000 Rupien. Wir waren drei Brüder.
Man gab uns Land, aber das neue Siedlungsgebiet war weit entfernt. Die Gegend war bewaldet und von großen Gräben durchzogen, also völlig ungeeignet, um darauf Ackerbau zu betreiben. Bis heute haben wir dort keine ordentliche Trinkwasserversorgung, keine Elektrizität, keinen richtigen Brunnen oder Teich. Das Land, das mir zugeteilt wurde, war sehr uneben, voller Gräben und Bodenwellen. Wir lebten in ständiger Angst vor Elefanten, Bären und anderen wilden Tieren. Wir fühlten uns in der neuen Siedlung überhaupt nicht wohl. Heute hat die Gegend noch immer keine ordentliche Straßenanbindung. Viele Leute waren überhaupt nicht in der Lage, sich eine neue Existenz aufzubauen und gingen zugrunde.
Als man uns unser Land wegnahm, verloren wir einfach alles. Wir hofften, dass sich mit dem Bau des Stahlwerks unsere Lebensbedingungen verbessern würden, und dass künftige Generationen der Adivasi davon profitieren könnten. Das hatte Jawaharlal Nehru auch so gesagt. Aber das Gegenteil ist eingetreten: Die Zukunft unserer Kinder ist ungewiss
.
Viele von denen, die überlebt haben, hatten die Hoffnung, Arbeit im Stahlwerk Rourkela zu erhalten, aber sie sind immer noch arbeitslos. Die Betreiber des Stahlwerks hatten versprochen, unsere Kinder einzustellen, wenn sie die Schule besucht hätten. Für uns wäre es eine große Erleichterung, wenn unsere Kinder Arbeit fänden. Das ist es, was Nehru zu uns sagte, kurz bevor das Stahlwerk gebaut werden sollte. Einige wenige wurden eingestellt, aber die meisten sind ohne Arbeit geblieben. Wir haben auch beim zuständigen Distriktbeamten vorgesprochen und ihn dringend gebeten, unseren Kindern eine Anstellung zu verschaffen. Aber wie es scheint, ist dieser Beamte dazu nicht bereit. Als man uns zwangsumsiedelte, hieß es, man werde jedem einzelnen Angehörigen einer umgesiedelten Familie einen Arbeitsplatz geben. Aber das ist nicht geschehen. Das Traurigste an der Sache ist, dass jetzt Auswärtige im Stahlwerk arbeiten und nicht wir Einheimischen. Unseren Kindern gibt man keine Arbeit. Das ist die Situation der Adivasi-Bevölkerung.
Nach der Vertreibung siedelte man uns in Jalda an. Einige von uns bekamen 40 bis 50 decimal (etwa 2000 Quadratmeter) an Land zugewiesen, andere nur ein Zehntel dieser Fläche. Wir erhielten fünf decimal (etwa 200 Quadratmeter) auf den Namen meines Vaters. Wir sind drei Brüder. Wie sollen drei Brüder auf einem Stück Land leben, das gerade einmal fünf decimal groß ist? Ich habe vier Söhne und zwei Töchter. Wir können mit fünf decimal nur unter großen Schwierigkeiten genug erwirtschaften, um uns alle zu ernähren. Ich wohne zusammen mit einem meiner Brüder; der andere hat sich ein Grundstück gekauft und lebt dort mit seiner Familie.
Wir haben versucht, die Betreiber des Stahlwerks dazu zu bewegen, uns das überschüssige Land zurückzu-geben (das nicht für den Bau des Stahlwerks benötigt wurde]). In dieser Angelegenheit haben wir sogar eine Klage beim Obersten Gerichtshof des Bundesstaates Orissa eingereicht. Aber anstatt uns das Land zurückzugeben, verkaufen sie es an andere. Die Stahlfabrik wurde auf unserem Land gebaut, und wir sind nun arbeitslos. Das Gebiet, in dem man uns neu angesiedelt hat, besitzt nicht einmal die einfachsten Versorgungseinrichtungen.
Weiterhin wurde uns gesagt, dass wir Häuser und Versorgung mit Wasser bekämen. Viele von uns haben noch immer kein richtige Behausung. In unserem Ort gibt es nicht einmal die einfachste Ausstattung: Wir haben keine Straße, keinen Strom, kein Wasser. Immer wenn ein Minister die Gegend bereist, wird er am Betreten unserer Siedlungen gehindert. Aus einiger Entfernung – nur von der Hauptverkehrsstraße aus – erzählt man ihm dann, unser Gebiet sei mit allem ausgestattet. Wir werden auch bei vielen Projekten und Maßnahmen betrogen, die eigentlich für uns bestimmt sind. Das ist auch ein großes Problem.
Wir sind hier hilflos und nutzlos. Politische Führer, die versprochen hatten, sich für unser Wohlergehen einzusetzen, vergaßen ihre Wahlversprechen, sobald sie Minister wurden. Sie haben unser Leid und unser Elend vergessen. Unsere Kinder schließen ihre Schulbildung ab und sind dann arbeitslos. Wir wurden aus unserem eigenen Dorf verjagt und im Urwald neu angesiedelt. Was noch schlimmer ist, Zugezogene jagen uns jetzt sogar von hier fort. Sie eignen sich Land an, das uns gehört, und errichten darauf ihre Häuser.
Ortsfremde kamen hierher und haben in unser soziales und kulturelles Leben eingegriffen. Unsere eigene Sprache, Oraon, wird kaum noch gesprochen. Bestandteile unserer Kultur verschwinden. Es ist uns nicht gelungen, das Bewusstsein für unsere Stammessprache und -kultur zu erhalten und zu fördern. Unsere Oraon-Gemeinschaft ist heute gespalten. Wir waren keine Christen, sondern folgten der Sarna-Religion. Inzwischen haben jedoch viele Sarna-Angehörige den christlichen Glauben angenommen. In der Adivasi-Kultur verehrten Sarna-Anhänger den heiligen Hain. Früher, vor der Ankunft des Christentums, folgten wir alle der Sarna-Religion und schnitten die Äste des Karam-Baumes, um diese vor unseren Häusern einzupflanzen. Aber seit das Stahlwerk von Rourkela existiert, wird dieser Brauch nur noch selten praktiziert.
Aufgenommen am 28. Februar 2009
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