Vor zwei Jahren gründete der Bengali-Übersetzer Christian Weiß den Draupadi-Verlag. Schwerpunkt sind Erzählungen und Romane aus Indien. Er ist einer der wenigen, die sich bemühen, aus den Originalsprachen übersetzen zu lassen. Golrokh Esmaili stellt den
Verleger vor.
Indien ist das Gastland auf der Frankfurter Buchmesse 2006. Damit ist es das erste Land, das sich zum zweiten Mal auf dem weltgrößten Büchertreff präsentieren darf. Indische, insbesondere bengalische Literatur, ist in Deutschland allerdings bis heute größtenteils unbekannt.
Das wollte der Historiker, Literaturwissenschaftler und Bengali-Übersetzer Christian Weiß ändern. Im Herbst 2003 gründete er den Draupadi-Verlag in Heidelberg, mit dem er sich auf bengalische Literatur spezialisierte.
83 Prozent Muslime in Bangladesch
Bengalen ist eine Region in Südasien, die sich auf das heutige Bangladesch und den indischen Bundesstaat Westbengalen erstreckt.
1947 kam es im Zuge der Entkolonialisierung des indischen Subkontinents zur Trennung der beiden Landesteile. Da im heutigen Bangladesch etwa 83 Prozent Muslime leben, wurde es gemäß den Forderungen der an den Unabhängigkeitsverhandlungen beteiligten Führer der Muslime vom hinduistisch dominierten und besser entwickelten Westbengalen abgespalten.
Bevor der in der Nähe von Stuttgart geborene Christian Weiß 1983 während seines Studiums das erste Mal nach Indien reist, lernt er bei dem bengalischen Schriftsteller Alokeranjan Dasgupta Bengali. Dasgupta ist es auch, der sein Interesse für bengalische Literatur weckt. Alokeranjan Dasgupta selbst gilt als einer der renommiertesten Autoren der bengalischen Literatur und wurde 2004 mit dem Tagore-Preis ausgezeichnet.
Dieser wird jährlich von der Deutsch-Indischen Gesellschaft an Autoren und Kulturschaffende vergeben, die auf besondere Weise dazu beigetragen haben, einem deutschsprachigen Publikum den Geist und das Leben Indiens näher zu bringen. Nicht umsonst nennt Weiß Dasgupta seinen Lehrer: "Er gab mir Hinweise, auf welche Literatur ich mich konzentrieren solle."
Weltliteratur geprägt vom Eurozentrismus
Die bengalische Literatur fasziniert Weiß mit der Zeit immer mehr. Doch schon bald fällt ihm eine "Schieflage" auf, die ihn bis heute beschäftigt: "Zwischen der europäischen und der indischen Literatur gibt es ein Ungleichgewicht". In diesem Zusammenhang spricht er vom "Eurozentrismus".
Während Günther Grass, Bertold Brecht und Hermann Hesse den meisten Intellektuellen Indiens ein Begriff sind, kennt man in Deutschland bestenfalls den bengalischen Nobelpreisträger Rabindranath Tagore und die indische Autorin des Bestsellers "Der Gott der kleinen Dinge", Arundhati Roy.
In den letzten 20 Jahren reiste Weiß immer wieder nach Indien. Seine Aufenthalte dauern mehrere Wochen, manchmal aber auch mehrere Monate an. In Deutschland ist er während der letzten Jahre unter anderem als Übersetzer für bengalische Literatur tätig.
Vor der Verlagsgründung arbeitete Christian Weiß auch als Herausgeber mit verschiedenen Verlagen zusammen. Aufgrund der mangelnden Unterstützung, die er von Seiten der Verlage erfuhr, entschloss er sich, einen eigenen Verlag zu gründen.
Mit dem Draupadi-Verlag möchte er "eine Lücke schließen", die er in der deutschen Buchwelt sieht. Literaten, die in Bangladesch und Westbengalen über einen sehr hohen Bekanntheitsgrad verfügen und zahlreiche Preise für ihre Werke gewonnen haben, in Deutschland bisher aber nicht übersetzt und publiziert worden sind, sollen diese Lücke füllen.
Sozialkritische Literatur
Die bengalische Autorin Mahasweti Devi beispielsweise ist nicht nur in Indien bekannt für ihre harte, realistische Prosa. In Frankreich und im britisch-amerikanischen Sprachraum hat die 79-Jährige ebenfalls einen Namen. Hierzulande kennen sie jedoch nur wenige. Christian Weiß versteht es bis heute nicht, warum die mehrfach ausgezeichnete Schriftstellerin in Deutschland so wenig Beachtung findet.
Die Nachfrage nach südasiatischer Literatur ist seiner Meinung nach vorhanden, ihm fehlten nur die Angebote. "Warum soll man qualitativ entsprechendes Material nicht auch übersetzen und dem deutschen Publikum anbieten?", fragt Weiß.
Christian Weiß möchte sich aber nicht nur für bereits erfolgreiche bengalische Autoren einsetzen. Auch unbekannte Talente sollen gefördert werden.
Weiß gehört der Heidelberger Südasien-Gruppe an, die unter anderem Bücher aus dem Bengalischen ins Deutsche übersetzt. Aus dieser Initiative ging die deutsche Übersetzung von "Daulati" von Mahasweti Devi hervor, an der sie maßgeblich auch als Herausgeber beteiligt war. Nebenbei organisieren die Mitglieder der Gruppe auch literarische und gemeinnützige Veranstaltungen.
Positive Perspektiven
Die Autoren, die er bevorzugt, schildern sozialkritisch die Lebensbedingungen Indiens. Damit möchte er den Leser für die aktuellen Probleme in den Regionen sensibilisieren.
Vielleicht gelingt es Weiß schon während der Buchmesse, mit der Auswahl der Bücher im Draupadi-Verlag wichtige Aufklärungsarbeit für die politische Situation Westbengalens zu leisten.
Golrokh Esmaili
© Qantara.de 2006